Zu Besuch im größten Weinanbaugebiet Osteuropas
»Wo wollen sie hin?« fragte der Bundespolizist, während er meine Daten meines Reisepasses bei der Ausreise am Flughafen Tegel im Frühjahr 2012 kontrollierte. »In die Republik Moldau? Als Tourist? Was will man denn da?«. Die Reise fing schon gut an dachte ich so bei mir.
Die Republik Moldau – umgangssprachlich auch als Moldawien bezeichnet – erlangte 1991 zwar seine Unabhängigkeit, doch auf Scharen von Touristen wartet das Land am Rande Europas, genau zwischen Rumänien und der Ukraine gelegen noch immer. Internationale Flüge landen auf einem kleinen Airport am Rande der Hauptstadt Chişinău. Nach rund 30 Minuten Fahrzeit ist man auch schon inmitten des Stadtzentrums angekommen. Eine ausreichende Auswahl an modernen Hotels laden hier zu einem kürzeren oder längeren Aufenthalt ein.
Zahlreiche Spuren der kommunistischen Ära sind bis heute erhalten. Bis zu seiner Unabhängig zählte das Land zwischen 1940 und 1991 als Moldauische Sozialistische Sowjetrepublik als eine der 15 Teilrepubliken der Sowjetunion. Ein Kontrast den man sich in Westeuropa gar nicht so recht vorstellen kann. Als größtes Mahnmal aus der Zeit des Kommunismus kann heute die riesige Ruine des ehemaligen Hotel National oder der Palast der Jugend angesehen werden. Doch es gibt hier auch die »schmucken« Bauten. Durchsaniert und auf dem Stand der Zeit. Die öffentlichen Regierungs- und Verwaltungsbauten erinnern damals wie heute an die übermächtige Rolle der Nomenklatura. Doch die Republik Moldau hat 30 Jahre nach der Unabhängigkeit mit einer extremen Abwanderung junger und gut ausgebildeter Fachkräfte zu kämpfen. Das Leben in der EU oder den USA verheißen einen besseren und wohlhabenderen Lebensstil. Sofort und ohne weitere »Aufbauarbeit« leisten zu müssen.
Entlang der Hauptpromenade – dem Boulevard Ștefan cel Mare și Sfînt (Stefan der Große) – kann man die wichtigsten Gebäude als Tourist sorgenfrei erlaufen. Durch die Kämpfe des Zweiten Weltkrieges wurde die Innenstadt fast vollständig zerstört. Josef Stalin entschied auch in Chişinău zahlreiche Viertel im sogenannten Zuckerbäckerstil wieder aufbauen zu lassen. Der hiesige Markt oder das Erinnerungsmemorial liegen von hier aus etwas abseits, was aber keinen Geschichtsinteressierten abschrecken sollte.
Nach den Erkundungen der Hauptstadt stand am nächsten Tag ein Ausflug in die Umgebung auf den Plan. Wir wollten raus in eines der größten Weinanbauregionen Osteuropas. Moldawien zählte bis zum Zusammenbruch des riesigen Sowjetreiches zu einer der Hauptweinanbauregionen der Union. Jede zweite Weinflasche der Sowjetunion kam von hier. Doch die Anti-Alkohol-Kampagne der Sowjetunion zwischen 1985–1991 senkte auch hier die Anbaufläche drastisch. Weit über 200 000 Hektar Rebfläche zählt das Land in Höchstzeiten in den 1980iger Jahren. Deutschland kam 2019 auf knapp die Hälfte der Anbaufläche für Wein, ist aber flächenmäßig mehr als zehn Mal so groß. Mit der Bevölkerung unpopulären Kampagne sollte die Lebenserwartung besonders bei der männlichen Bevölkerung des Sowjetreich gesteigert werden. Die Lebenserwartung eines Mannes zählte zu der Zeit etwa 63 Jahre, 12 Jahre weniger als in den Vereinigten Staaten. Alkoholismus wurde als einer der Hauptgründe dazu ausgemacht. Doch mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion endete auch die Anti-Alkohol-Kampagne und die industrielle Produktion von alkoholhaltigen Getränken wurde wieder im Land selbst und den neuen nunmehr unabhängigen Republiken wieder hochgefahren. Für das Land, dass noch immer zu den weltweit größten Weinproduzenten zählt, ist heute nicht nur der Export ein wichtiger Devisenbringer, sondern auch der Erhalt dieser einmaligen Weinkeller führt dazu, dass langsam immer mehr Touristen das Land entdecken. Wein und außergewöhnliche Kultur in einem der ärmsten Länder Europas.
Nach einer knappen halben Stunde Fahrzeiten standen wir auf einem kleinen Parkplatz, an dem bereits kleine Touristenbusse wie man sie aus Ferienzentren her kennt auf die Besucher. Das ist es also, das geheimnisumwitterte Stollensystem im Herzen der Hauptweinanbauregion des einstigen Sowjetreiches. Nach der Registrierung und Bezahlung der Tickets ging es auch schon los. Bis zu 80 Meter tief wanden sich die knapp 120 Kilometer langen Gänge von Cricova durch den Kalkstein. Die konstanten Temperaturen von knapp zehn Grad Celsius verbunden mit einer hohen Luftfeuchtigkeit stellen für Wein optimale Lagerwerte dar. Die junge Gästeführerin gab viele Legenden und Geschichten aus der unterirdischen verborgenen ganz eigenen Welt zum Besten. Wladimir Putin feierte hier vor Jahren seinen 50.ten Geburtstag. Juri Gagarin – Held der Sowjetunion und erster Mensch im Weltall – so erzählt man verbrachte hier 1966 zwei ganze Tage im unterirdischen Verkostungsbereich und fand nur mit Unterstützung den Weg wieder an die Oberfläche. Zählte bis 2014 Russland als Hauptimporteur der Weine, wird der Wein aus Cricova heute vornehmlich nach Kasachstan verkauft. Als Vergeltung für das im November 2013 unterzeichnetes Abkommen zwischen der EU und Moldau einen EU-Beitritt des Landes zu forcieren, verhängte Russland ein Embargo gegen moldauischen Wein. Zu einem weiteren Highlight zählt ein Besuch der sogenannten Schatzkammer. Hier lagern nicht nur exklusive Weine mit besonders alten Jahrgängen (z.B. „Jerusalem von Ostern“ Jahrgang 1902), sondern auch ein Teil der persönlichen Weinsammlung des nach Ende des Zweiten Weltkrieges verurteilten Kriegsverbrechers Herrmann Göring. Er pflegte einen dekadent-luxuriösen Lebensstil und so gelangte Ende der 1940iger Jahre ein Teil seiner Weinsammlung als sowjetische Kriegsbeute hier her. Daneben erhält jeder Staatsgast ein eigenes Fach mit einer Auswahl an erlesenen Weinen. Die unterschiedlichen Verkostungsräume sind weitere architektonische Besonderheiten des unterirdischen Labyrinths das man so hier im Untergrund gar nicht erwarten würde. Wir wurden durch die eindrucksvollen Lagerbereiche geführt und in den Ablauf der Flaschenabfüllung eingewiesen. Ein eindrucksvoller Besuch durch und durch.
Die Teilnahme an einer der angebotenen Führungen sollte unbedingt im Voraus reserviert werden. Es werden nicht nur unterschiedliche Routen, sondern auch anschließende Weinverkostungen angeboten.
In der zweiten Anlage in den Weinkellern von Milestii Mici lagert dem Guinness-Buch der Rekorde nach die größte Anzahl an Weinflaschen in einem mehr als 150 Kilometer langen Stollensystem. 1,5 Millionen Liter Flaschen. Ein Paradies für Weinlieber!?
Doch die Republik Moldau hat damals wie heute mehr zu bieten als unterirdische Labyrinthe. Wir fuhren nach unserem Besuch immer tiefer und tiefer in das Land hinein. Die Wege wurden schlechter und die Transportmittel der dort lebenden Bevölkerung immer abenteuerlicher. Eine wahre Zeitreise am Rande Europas. Landschaftlich erinnerte die Regionen in weiten Strecken an Italien. Etwa 100 Kilometer weiter nördlich stießen wir hier unweit der Stadt Olișcani auf eines der geheimsten Relikte aus der Zeit des Kalten Krieges. Inmitten eines weitläufigen Waldes wurde in den 1980iger Jahren einer der modernsten Führungsbunker der Sowjetunion in den Boden gegraben. Mehr als 10 Stockwerke tief, sollte von hier aus das Kriegsgeschehen eines vermeintlichen Dritten Weltkrieges in Westeuropa orchestriert werden. Doch mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion fiel auch diese einmalige Anlage in Vergessenheit. Die umliegende Bevölkerung bedient sich seitdem an der verlassenen Ruine um dringend benötige Baumaterialen zusammen zu klauben. Ein Mahnmal an den Wahnsinn des Kalten Krieges ohne Informationstafel oder Museum.
Doch wir mussten weiter. Wir fuhren in Richtung der ukrainischen Grenze im Norden des Landes. Im nahen Balti lernten wir spontan die moldauische Gastfreundschaft kennen. Eigentlich hätte das kleine Restaurant mit einem provisorischen Wintergarten bereits geschlossen. Doch man freute sich so sehr über die ausländischen Gäste, das allerhand auf dem ersten Blick scheinende exotische Speisen serviert wurden. Immer mehr Teller türmten sich am Ende auf dem Tisch, die die hungrigen Mägen schnell füllte. Doch wir mussten irgendwann weiter. Den jüngeren Teilnehmern der Gruppe wurde bei der Verabschiedung noch die Tochter des Chefs vorgestellt, doch alle bedankten sich nett für diese Geste und so fuhren wir in unveränderter Teilnehmerzahl weiter.
Inzwischen bereiste ich schon mehrfach das in Westeuropa recht unbekannte Land mit all seinen Sehenswürdigkeiten. Eine Kombination mit einem Besuch Rumäniens, Transnistriens / Pridnestrowien oder der ukrainischen Hafenstadt Odessa ist sehr zu empfehlen.
Wie zu erreichen?
Der Flughafen der Hauptstadt Chişinău ist an ausgewählten Tagen in der Woche mit einem Direktflug ab Berlin zu erreichen. Dort angekommen, kann man mit dem Taxi bequem in die Innenstadt fahren. Alternativ organisieren wir gern auch vorab einen privaten Transfer in das Zentrum.
www.martin-kaule-reisen.de > Moldau
Wo übernachten?
Es gibt größere und kleinere Hotels in Chişinău. Historische oder moderne. Mit meinen Gruppen übernachte ich immer ganz gern im Bristol Central Park Hotel****.
Wo essen?
Entlang des Boulevards, besonders in den Seitenstraßen in Richtung Markt gibt es zahlreiche Restaurants. Auf dem Markt kann man sich natürlich auch mit frischem Gemüse und Fleisch ordentlich eindecken und selber kochen.
Wie bezahlen?
Im Land wird mit moldauischen Leu bezahlt. Fast alle Hotels und Restaurants akzeptieren die gängigen Kreditkarten und daneben gibt es unzählige ATM-Automaten.