Abenteuer Spitzbergen
Eine Reise nach Spitzbergen wird man nie vergessen. Allein schon die Anreise ist ein besonderes Erlebnis. Besteigt man das Flugzeug gegen 22 Uhr in Oslo, erlebt man hunderte Flugmeilen später am gleichen Tag einen weiteren Sonnenaufgang. Denn hoch oben im Norden geht zwischen dem 20. April und dem 20. August eines jeden Jahres die Sonne nicht unter. Sofern keine Wolken den Himmel bedecken, scheint sie in dieser Zeit 24 Stunden am Tag. Dagegen bleibt sie vom 26. Oktober bis zum 15. Februar in den nördlichsten Breiten unsichtbar. Was für ein ungewöhnlicher Rhythmus.
Mitten im Hochsommer packte ich zu Hause in Deutschland meine Wintersachen in den Koffer und rollte damit nur wenige Tage später zum Flughafen. Für die dicke Winterjacke war kein Platz mehr und so hing sie für jeden sichtbar über dem Gestänge meines Reisegepäcks. Ungläubige Blicke waren daher nicht selten. „Wohin mag er reisen?“, dachte sich bestimmt der eine oder andere Fluggast. Am Flughafen angekommen, funktionierte beim Check-In alles wie gewohnt. Von Berlin aus bot Scandinavian Airlines an meinem Reisetag leider keinen Direktflug nach Oslo an, daher galt es einen kurzen Zwischenstopp in Stockholm/Schweden einzulegen. Kleines Länderhopping durch Skandinavien, es hätte mich wahrlich schlimmer treffen können. Alternativ verbindet – zumindest in der Saison – auch Norwegian Air einige deutsche Flughäfen mit der norwegischen Hauptstadt. Am Airport in Oslo angekommen, konnte man sich bereits im Ankunftsbereich an den skandinavischen Warenauslagen erfreuen: Eisbärsouvenirs auf der einen, dicke Norwegerpullover auf der anderen Seite. Das Terminal für den Weiterflug war schnell gefunden. Auch wenn Spitzbergen zu Norwegen zählt, haben Weiterflüge wegen der Sonderstellung der Stadt den Status von internationalen Flügen. Daher wird vor dem Weiterflug der Reisepass kontrolliert. Neben den regelmäßigen Flügen via Oslo wäre eine Anreise auch von Tromsø im Norden Norwegens aus möglich. Die Wartezeit kann man sich bequem mit dem Besuch einer Lounge oder eines Restaurants im Abflugbereich vertreiben. Kurz vor 22 Uhr ging es endlich los und drei Stunden später war ich auch schon auf der arktischen Inselgruppe Spitzbergens.
Hier oben weit hinter dem Polarkreis leben neben mehreren tausend Eisbären auch etwa 2500 Menschen. Hauptstadt und Verwaltungszentrum ist Longyearbyen. Man kann die Stadt als eine kleine, bunt gemischte Gemeinde beschreiben, welche sich von einem kleinen Bergarbeiterstädtchen hin zu einem modernen lebendigen Ort mit diversen Unternehmen entwickelt hat. Daneben unterhalten die Universitäten in Oslo, Bergen, Tromsø und die Technisch-Naturwissenschaftliche Universität Norwegen hier jeweils eine kooperierende Außenstelle, die zum besonderen Flair Spitzbergens beiträgt.
Die Unterkunft konnte man vom Airport Longyearbyen aus bequem mit einem öffentlichen Hotel-Shuttlebus erreichen. Ein verrücktes Gefühl machte sich breit: Es war 2 Uhr nachts und noch immer schien die Sonne hoch oben am Himmel! Im Hotel angekommen, erhielt ich ohne Umschweife die Zimmerschlüssel und fiel todmüde ins Bett. Die dicken schwarzen Vorhänge vor den Fenstern verdunkelten den Raum zum Glück vollständig. Die Schuhe zieht man hier übrigens direkt nach der Eingangstür aus, im gesamten Hotel sowie auch im Restaurant bewegt man sich jederzeit barfuß.
Nach einer ersten kurzen Nacht startete am nächsten Vormittag auch schon das eigentliche Programm. Am ersten Tag stand eine Wanderung durch Longyearbyen auf dem Plan. Zu Fuß ging es hinab zum Ufer des Fjords, vorbei am Kulturhaus und einer wunderschönen Kirche hin zu einem der wichtigsten Relikte der Bergbaugeschichte der Insel. Hier am Rande der Stadt liefen zahlreiche Kohletransportwege zusammen, um von hier aus gebündelt zu einem riesigen Lagerplatz am Hafen zu führen. Weiter ging es für einen kurzen Kaffeestopp in die kleine Einkaufsstraße und zu einem riesigen Binnensee, der, wie wir vom Guide erfuhren, als Trinkwasserreservoir, das sich ausschließlich von Gletscherwasser speiste, für die gesamte Stadt diente. Auf dem Weg dorthin konnte man die ersten Husky-Camps von außen einsehen. Am See selbst angekommen, steht man buchstäblich am Rande der Zivilisation. Ein Warnschild weist darauf hin, dass ab hier jederzeit mit dem Kontakt mit Eisbären gerechnet werden muss. Wer weitergehen möchte, benötigt nun zum eigenen Schutz eine Waffe oder mietet sich einen Guide, der diese mit sich führt. Doch schnell zurück zum Zentrum. Nun gab es die Gelegenheit, in den hiesigen Supermarkt zu gehen oder sich in ein gemütliches Pub zu setzen. Für die, die noch mehr entdecken wollten, bestand die Möglichkeit, das benachbarte Spitzbergenmuseum oder das Polarexpeditionsmuseum zu besichtigen. Auch hier gab es wieder – wie im Hotel wenige Stunden zuvor – das Prozedere des Schuheausziehens direkt im Eingangsbereich. Die Eindrücke des ersten Tages waren schon ziemlich außergewöhnlich.
Am nächsten Tag startete das Programm schon etwas früher. Denn der Shuttlebus zum Hafen fuhr bereits um kurz nach 8 Uhr in Richtung des nächsten Abenteuers. Da nun auch das Hotel gewechselt wurde, hatte unsere Reisegruppe Sack und Pack dabei. Auf dem Weg zum Hafen hielt der Bus noch an einigen Hotels an, um weitere Abenteurer einzusammeln. Pünktlich um 8:30 Uhr legte der moderne Katamaran dann auch schon mit dem Ziel „Barentsburg“ ab. Bei dem Tagesziel handelte es sich um die zweitgrößte Siedlung der Inselgruppe, die vollständig unter russischer Verwaltung steht. Ein staatseigener Betrieb baut hier unter Tage noch immer Steinkohle ab. Doch keine Angst, ein Visum ist für einen Besuch nicht notwendig. Auf dem Weg türmten sich links und rechts die schroffen Berge Spitzbergens auf. In den Buchten reihte sich Gletscher an Gletscher. Was für eine Landschaft!
Nach knapp zwei Stunden Fahrzeit waren wir auch schon in Barentsburg. Unten am Kai wartete der lokale Guide, der unsere Gruppe freundlich in Empfang nahm. Der Reiseleiter behielt das Gepäck im Blick und fuhr mit diesem direkt zum Hotel der nächsten zwei Tage. Bei der Führung durch die Stadt erfuhren wir spannende Details zur Geschichte der Siedlung und dass wir morgen, sofern wir wollten, auch noch die Chance haben würden, das aktive Bergwerk zu besichtigen! Nach der Überblicksführung bezogen wir erst mal die Zimmer und verabredeten das weitere Programm des Tages. Es bestand die Möglichkeit der Teilnahme an einer weiteren Wanderung zum aktiven Helikopterflugplatz am Cap Heer, der noch immer für Versorgungsflüge genutzt wird. Spätestens jetzt hatte mich die Landschaft Spitzbergen vollends in ihren Bann gezogen. Zufällig fand im Kulturhaus nebenan noch eine Folkloreshow statt.
Nach einer erholsamen Nacht standen am dritten Tag weitere Ausflüge auf dem Programm. Ein Teil der Gruppe wanderte hinauf in die Berge, von wo aus es einen großartigen Blick auf die Siedlung und die Bucht geben sollte. Ich entschied mich für die Bootstour zur verlassenen Geisterstadt Grumant, gleich in der benachbarten Bucht. Für den Ausflug erhielten wir einen eigenen wasserdichten Anzug und schon ging es los. Mit hoher Geschwindigkeit näherten wir uns den Gebäuden einer kleinen verlassenen Bergbausiedlung. Ein spannender Mix aus Expedition und Abenteuer und meine Kamera war die ganze Zeit dabei. Idealerweise läutete zu keinem Zeitpunkt eine vermeintlich untergehende Sonne das Ende des Tages ein. So man Lust und Energie hatte, bot der Reiseleiter in den späten Abendstunden noch ein kleines Highlight an. Er kannte eine Stelle, an der zu später Stunde Polarfüchse angefüttert werden. Was für niedliche Tiere!
Nach der zweiten Nacht in Barentsburg mussten wir wieder unsere Koffer packen. Von Barentsburg aus ging es mit dem Schiff, welches uns zwei Tage zuvor hierhergebracht hatte, zu meinem eigentlichen Sehnsuchtsziel und Anstoß der Reise – zur verlassenen Geisterstadt Pyramiden. Bis 2000 unterhielt das russische Bergbauunternehmen hier seine größte Steinkohlemine auf Spitzbergen. Knapp 1000 Menschen lebten und arbeiteten in Höchstzeiten inmitten dieser teils unwirklich scheinenden Welt. Die unzähligen Gebäude wurden einfach verschlossen, aber nicht vergessen. Zwei Hausmeister kümmern sich seitdem um die nötigste Wartung der teils sensiblen Infrastruktur. Mit der Zunahme der Touristen wurde vor einigen Jahren auch ein kleines Hotel eröffnet, das in den Sommermonaten nun mit allen denkbaren Services aufwartet. Auch hier erwarteten uns wieder freundliche Guides, die uns die Historie und Funktion der unterschiedlichsten Gebäude erklärten. Während die normalen Tagesgäste wieder zurück mit dem Schiff nach Longyearbyen fuhren, konnten wir zwei außergewöhnliche Nächte verbringen. Selbst hier, abgelegen im Nirgendwo, zog man sich nach dem Betreten des Hauses die festen Wanderschuhe aus.
Am zweiten Tag in Pyramiden hatten wir die Gelegenheit, weitere Gebäude der Siedlung zu besichtigen. Neben einer Kantine, dem Verwaltungsgebäude der Mine, der Schwimmhalle, einer Schule sowie dem imposanten Kulturhaus waren es auch zwei Wohngebäude. In zahlreichen Wohnungen schien die Zeit seit mehr als 20 Jahren stillzustehen. Am Nachmittag führte uns der Guide entlang der alten Kohlenrampe hoch hinauf in Richtung des gleichnamigen Berges der Siedlung. Einige Teilnehmer schrien verzückt auf, denn ganz oben erreichten die letzten Handysignale die Smartphones und zahlreiche Nachrichten trudelten ein. Man konnte aber auch ganz einfach den Ausblick genießen und so lange fotografieren, bis die Speicherkarte voll war. Die Aussicht wird mir so schnell nicht mehr aus dem Kopf gehen.
Am nächsten Tag führte uns der Weg zu einer verlassenen Erdölbohrstation. Entlang der Bucht liefen wir im wahrsten Sinne des Wortes über Stock und Stein. Nach rund eineinhalb Stunden Wanderung waren wir auch schon am Ziel. Drei imposante Bohrtürme ragten noch immer in den Himmel. 1999 stieß man laut Aussage des Guides auf Erdöl, doch dann folgte der Beschluss zur Stilllegung der Mine und zur Umsiedlung nach Barentsburg. Auch wir wanderten nun zurück, um die letzten Stunden in dieser unwirklichen Gegend zu verbringen. Am darauffolgenden Tag brachte uns das Schiff wieder zurück in die Hauptstadt. Mit vollen Speicherkarten musste ich nun schweren Herzens den Weg zurück in die Heimat antreten.
Eine Reise nach Spitzbergen inmitten des arktischen Sommers ist unglaublich faszinierend. Die verlassenen Bergbausiedlungen, die schroffe Landschaft, das Eis und die Gletscher, aber auch die Tier- und Pflanzenwelt sind ein besonderes Erlebnis. Daher nehme ich mir fest vor, das Eiland demnächst auch im Winter zu besuchen.